Die in den Sommermonaten erfreulich moderate Inzidenz erlaubte einer eingespielten sechsköpfigen Gruppe im Zeitraum vom 22. August bis 04. September einige Tage des gebirgigen Zeitvertreibs. Den Auftakt machte ein vertraut maximalstrukturierter Aufbruch, gekennzeichnet von plötzlichem Platzmangel und spätabendlicher Dachboxmontage, so dass noch einige Stunden verstreichen sollten, bis die dreiköpfige Vorhut die südwärtige Fahrt in die Nacht antrat. Eine frühmorgendliche Erholungspause nahe Erwald wurde mit Anbruch des neuen Tages jäh von lokalen Ordnungshütern unterbrochen und die junge Gebirgsschar unter Ankündigung diversester Anzeigen und Strafen ihres Ruheplatzes verwiesen. Über den Fernpass und hinab ins Oberinntal führte der weitere Weg ins Oberengadin, wo kurz vor Maloja an einem Sportklettergarten oberhalb des Silsersees der Auftakt in die vertikalen Leibesübungen zelebriert wurde. Durch ein kurzes Gewitter vom Fels verscheucht wurde noch ein erfrischendes Bad im See genossen und die Ersteigung des Pizzo Tambo oberhalb des Splügenpasses geplant, noch bevor die drei Nachzügler am nächsten Abend die Kleingruppe ergänzen sollten. Knapp zwei Stunden später begann in der Abenddämmerung der Aufstieg über die Ostseite des höchsten Berges der nach ihm benannten Tambogruppe. In mittlerweile völliger Dunkelheit richtete man sich etwas später nahe eines Sees unterhalb eines östlichen Vorgipfels heimelig für die Nacht auf Sonntag ein und genoss heiße nach Italien reimportiere Pasta. Unerwartete Tücken beschränkten sich hierbei auf vom Winde verwehte und von Felsen aufgeschlitzte Schlafunterlagen.
Dank des abendliches Anstiegs trennten nurmehr knapp 600 hm vom anvisierten 3279 m hohen Gipfel. Über sich kläglich an die Bergflanke klammernde Gletscherreste und eine kurze und einfache steilere Felspartie konnte der Höhepunkt erreicht und bei gigantischen Sichtweiten von bis zu 50 m das allumfassende Panorama genossen werden. Es folgten ein zügiger Abstieg und die kurvige Abfahrt zum Strand von Novate Mezzola unweit des Nordostendes des Comer Sees, wohin wenig später auch das verbleibende Personal eintraf.
Für die nächsten zwei Übernachtungen bot der Campingplatz Acquafraggia eine Bleibe. Ziel des Folgetages waren die Placche del Boggia im Val Bodengo, wo reibungsintensive Plattenkletterei bis zur Schwierigkeit 6a an geneigten, etwa 200 m hohen Granitplatten dem diskrepant genussvollen Wiedereinstieg in die Mehrseillängenkletterei dienten. Anschließend wurden Pläne für die folgende Schönwetterperiode geschmiedet, wobei man sich für eine Inspektion der Umgebung des Albignastausees entschloss. Mit Biwakgepäck für drei Nächte, vollständiger Trad-Kletterausrüstung sowie Steigeisen und Pickeln beladen gondelte man am Dienstag hinauf zum See und fand einen idyllischen Platz oberhalb des Westendes der Staumauer. Noch am selben Tag wurde auf unterschiedlichen Wegen die nahe Spazzacaldeira bestiegen und zum fulminanten Tagesabschluss die filigrane und prominente Felsformation Fiamma in allerbestem Granit erklettert, dank später Stunde sogar in völliger Einsamkeit. Der Mittwoch wurde in Zweiergrüppchen verbracht. Ziele waren Klettertouren durch die Ostseite der Spazzacaldeira sowie über die Vergine auf den felsigen Gipfel Al Gal und eine Wanderung zum Pizzo Eravedar westlich oberhalb des Südendes des Stausees. Die hervorragenden Nah- und Fernblicke reichten nördlich über die Bündener Alpen und westlich über die Bergellriesen Pizzo Cengalo und Badile, bis zur 150 km entfernten Monte Rosa. Das östliche Panorama beherrschte die Cima di Castello (3379 m), Ziel des nächsten Tages.
Aufgrund der mit 1500 hm im Aufstieg und 15 km Länge nicht wenig umfangreichen Tour ging es noch vor dem ersten Tageslicht hinab über die Staumauer und rauf zur Albignahütte. Der zunächst noch gut markierte Weg führte anschließend wieder hinab zum See, über einen Wildbach und steil querend unterhalb der Punta da l’Abigna entlang. Über blockige Seitenmoränen wurde auf etwa 2900 m Seehöhe der im Mittelteil stark verspaltete aber niemals sehr steile Gletscher Vadrec dal Castel Nord erreicht. Diesen südsüdostwärts bergan querend gelangt man über die Scharte Bocchetta dal Castel auf den kleineren, kaum Spalten führenden südlichen Castel-Gletscher. Über kleinere perennierende Schneefelder und zuletzt einfache Blockkletterei wird über die Westseite der Zugang zum Gipfel gewährt. Der ostwärtige Blick über die Steilabstürze des Fornogletschers hinweg wird durch die gewaltige, aus dieser Richtung düster erscheinende Berninagruppe und die nahe Monte Disgrazia beherrscht. Dazwischen lockte die Monte Cevedale mit ihren sanften weißen Reizen. Der Rundblick reichte weiter über die Bergamasker Alpen, Wallis mit Mischabelgruppe und die Berner Alpen, ein, angesichts der für die Hälfte der Teilnehmenden ersten Hochtour, überaus erfreuliches Panorama. Der lange Abstieg inklusive 200 hm Gegenanstieg erforderten nochmals Durchhaltevermögen, die sehr guten Verhältnisse und beeindruckende Umgebung garantierten dabei frohen Mut. Der Wetterbericht versprach noch eine letzte trockene Nacht und anschließenden Starkregen, so dass am nächsten Morgen ein frühzeitiger Aufbruch bevorstand, damit im Tal noch Gelegenheit blieb sich von der ersten zu universitären Verpflichtungen Heimkehrenden zu verabschieden.
Der einsetzende Regen verdrängte die verbleibenden fünf für eine Nacht aus den Alpen, vielversprechende Witterungsbedingungen für die nächste Woche boten lediglich einige Teile der französischen Alpen. Zunächst stand jedoch eine Visite in Mailand an, mit ausgedehntem Stadtspaziergang, viel gefrorenem Dessert und einer preiswürdigen Nebenstraßenpizzeria. Die Nacht wartete mit für Zeltübernachtungen unangenehm intensiven und nahen Gewittern auf, wobei offenbar und erfreulicherweise attraktivere Ziele für die herabschießende Funkenentladung zur Verfügung standen.
Am Samstag ging es weiter durchs Pobecken, vorbei an Turin, durch das Susatal und über den Col du Mont Cenis hinab ins französische Haute-Maurienne, bedacht auf Umgehung der ausgewiesenen Corona-Risikogebiete. Abends konnte in Lanslebourg noch der lokale Kletterführer und ein heimeliger Platz auf dem ruhigen Campingplatz ergattert werden, wobei das kalte und trübe Wetter am nächsten Morgen die Nutzung des ersteren leider aufs nächste Jahr verschob. Nichts wie raus aus den Zentralalpen ging es also, vorbei an der Chartreuse und ihrem souterrainen Höhepunkt der Sommertour 2018 und entlang der Isére ins voralpine Vercors.
Noch am Sonntag konnte dort erfreulicherweise ein Kletterführer ergattert werden, der inmitten all der zahlreichen großen und kleinen Kalkwände direkt zum Klettergarten Pas de l’escalier lotste. Einige eher kürzere Routen inklusive ansehnlichem Dyno später brach die Dämmerung herein und der kommunale Campingplatz von Saint-Jean-en-Royans gewährte Bleibe für die nächsten Nächte. Montägliches Kletterziel waren die Gorges d’Omblèze im südlichen Vercors. Bei idealen zugig-kühlen Verhältnissen konnten direkt am klaren Bach einige schöne und lange Routen von 6a bis 7a+ gezogen werden. Der Dienstag führte in die entgegengesetzte Himmelsrichtung zu den berechtigterweise bekannten Wänden von Presles. An diesem Tag stand allerdings noch einmal Sportklettern auf dem Programm, hoch über der Schlucht bot ein relativ junger aber dennoch äußerst umfangreicher Klettergarten eine vielseitige Auswahl erstklassiger und aussichtsreicher, dank Südausrichtung auch äußerst schweißtreibender Kletterei. Dem würdigen Vercors-Abschluss dienten nach einer weiteren Nacht die Routen Désirée (180 m, 9 SL, 6a+) und Super Crack du Dessert (240 m, 11 SL, 6b+). Aufgrund von Zeitproblemen gelang der Dreierseilschaft in der erstgenannten Linie leider kein Durchstieg und es wurde bei Absehbarkeit des Zeitmangels auf halber Wandhöhe abgeseilt. Der Höhepunkt stellte bis hierher wohl zweifelsfrei der pittoreske Quergang im unteren Teil dar. Die zweite Tour bot ein bemerkenswert abwechslungsreiches Halbtagsvergnügen, das sich zielstrebig durch die allerbesten Felspartien windete. Die Kollegen unten wieder eingesammelt wurde sich bereits etwas gen Heimat orientiert und die Nacht in der nördlich benachbarten Chartreuse verbracht.
Der letzte vollständige Reisetag begann mit einem kurzen Stadtbummel in Chambéry, Librairie-Stöberei und der Befreiung gestohlener Proletensneaker und führte schnurstracks weiter ins Massiv des Bauges. Finales vertikalsportliches Subjekt stellten hier die Tours Saint-Jacques dar. Am südlichen, komplett freistehenden Turm führten vier Seillängen bis 6b einmal spindelförmig um die halbe Felsnadel herum und abschließend über die herrlich ausgesetzte Verschneidungskletterei der Schlüssellänge auf den Gipfel. Nach abgeschlossener Aussichtswürdigung konnte noch rechtzeitig vor der absoluten Ginger-Brutzelung abgeseilt werden. Ausgerechnet beim allerletzten Abseilvorgang löste sich noch ein größerer Stein, der nach etwa 20 m Fallhöhe den Abseilenden am Oberarm traf. Der Helm bewahrte wohl vor Schlimmerem. Nach diesem schmerzhaften Abschluss von zwei Wochen Gebirgsaktivität lockte jedoch der nahe Lac d’Annecy mit seinem kühlen Nass, bevor es am Freitag wieder zurück nach Hause ging.